20. August

Predigen als Beruf ist deswegen besonders schwierig, weil das Werk Gottes in jeder einzelnen Menschenseele ein stufenweises ist und die Stufe, auf der sich der Zuhörer befindet, nicht immer, ja sogar selten der Stufe des Lehrers entspricht.

Dessen ungeachtet tut der Lehrer am besten, darauf nicht zu achten, sondern das Allerbeste zu geben, was er selbst hat. Wenn seine Meinung aufrichtig und sein Werk überhaupt Gottes Rat ist (und nicht der seiner Eitelkeit und somit Scheinwerk), dann hat jede Stufe wenigstens etwas von der anderen in sich, was das Verständnis ermöglicht. Missverstanden werden unter den gläubigen Predigern nur die, in denen der edle Wein des Evangeliums durch unreine Gefäße fließt, und die eigentlich noch gar nicht reden sollten.

(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)