31. Mai

Man kann dahin gelangen, dass man Leiden lieber hat als Freuden und die Freuden regelrecht fürchtet. Dann ist das Schwerste des Lebens vorbei.

Es ist jedenfalls nicht richtig, dass wir das Leiden nur so rasch wie möglich beseitigen oder ganz passiv und stoisch unempfindlich aushalten. Wir müssen es benutzen, als eine Zeit der Saat, aus der Früchte des Segens hervorgehen können und die, wenn sie einmal vorüber ist, nicht so leicht und nicht in gleicher Art und Weise wiederkehrt.

Eine der größten Gnaden Gottes ist es, dass man die Hauptschwierigkeiten einer großen und guten Sache erst erblickt, wenn der Sieg nahezu erfochten ist. Sonst hätte niemand den Mut, den Kampf zu beginnen.

(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)