25. August

Wir können nicht alle religiöse Wahrheit auf einmal erfassen; sie wird uns nur nach und nach geschenkt, in dem Maße, in dem unserer Empfänglichkeit dafür wächst. Meistens geschieht dies durch Erlebnisse, Menschen, Bücher, mitunter auch in ganz unmittelbarer Weise. Auch Christus fügte in einem schwierigen Fall bei: »wer es fassen mag, der fasse es«, und in seinen letzten Reden gibt er deutlich zu erkennen, dass er noch manches unausgesprochen für sich behielt (Joh 16 12–13).

Dazu, um das zu ersetzen und fortzusetzen, ist eben der Geist vorhanden, den wir den »heiligen« nennen. Aber hüte dich, dass du ihn nicht mit deinem eigenen Geist verwechselst oder auch nur vermischst. Es muss etwas in dich hineinkommen, das rein und unbehindert von allen Stimmungen, Neigungen, Gelehrsamkeiten, überhaupt unabhängig von deinem ganzen eigenen Wesen stets die Wahrheit in dir spricht – aber immer auf Grundlage dessen, was Christus gesprochen hat. Was davon abführt, ist Wort und Werk eines falschen Geistes.

Der beste Trost in den öfter vorkommenden Zeiten, in denen man an seinem Beruf in der Welt irre und kleinmütig oder gar rückfällig werden möchte, ist der Gedanke, dass nicht eigentlich wir Gott wählen, sondern Gott uns erwählt und zu seinem Eigentum macht (Joh 15 16, Jer 10 23).

Damit muss man sich durchschlagen durch die »Täler der Demütigung«, bis es ganz von selbst besser wird, sobald der Zweck dieser Leiden erreicht ist.

GBG 179    GBG 672    GBG 785    GBG 635    GBG 636    GBG 637    GBG 645

(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)