1. März

Egoismus ist das, was mit Religion am allerwenigsten zusammenstimmt. So wenig, dass wir alles das, was wir mit Recht und mit Gemütsruhe besitzen sollen, einmal (wenigstens innerlich, oft aber auch äußerlich) hergegeben und von Gott wieder zurückempfangen haben müssen: Eigentum, Ehre, guten Namen, Gesundheit, Arbeitskraft, Familie, Lebensfreude; ja das Leben selbst nicht ausgeschlossen. Sonst können uns alle diese Güter zum Verderben geraten. Das ist der Sinn der sogenannten »Prüfungen«; es sind Proben, ob wir dazu willig und imstande sind.

1 Mos 22

Solange die Prüfungen nicht mit diesem entschiedenen guten Willen enden, haben sie ihren Dienst noch nicht ganz getan und können nicht aufhören, wenn Gott uns gnädig ist. Lässt er sie vorher enden, weil der Mensch schließlich gar nicht zu klagen aufhört, oder lässt er ihn vollends ganz in Ruhe, so ist das ein sehr schlechtes Zeichen. Das sind die Menschen, die Gott aufgibt und die dem Verderben mit Sicherheit entgegengehen, dabei aber oft für die Glücklichen dieser Welt gehalten werden und sich wohl selbst zeitweise einbilden, es zu sein – bis es zu spät ist.

Märzenschnee

Der Winter ist vergangen,
Doch kam der Frühling nicht;
Mein Herz stirbt vor Verlangen
Nach Leben, Lust und Licht.

In tiefem Druck verborgen
Liegt all mein Denken noch;
Mich plagen Angst und Sorgen
Und schwerer Arbeit Joch.

Die Erde drückt mich nieder
Mit ihrem alten Weh;
Auf alle Frühlingslieder
Folgt neuer Winterschnee.

Doch unter Schnee sich neigen
Sah ich schon grüne Saat;
Es muss sich doch noch zeigen,
Herr, dein verborgner Rat!


Noch einmal abwärts
(Offb 3 1)

Verlass die Höh’n und steig ins tiefste Tal;
Den Niedergang musst du noch einmal wagen;
Zum Wandern stähl dein Herz ein zweites Mal;
Noch kannst der Ruhe Krone du nicht tragen.

Dein Mut ist noch nicht hart, dein Sinn nicht klar;
Der Schule kann der Herr dich nicht entlassen;
Was dir noch handelnd nicht beschieden war,
Versuche leidend fröhlich zu erfassen.

(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)