25. Juni

Am Ende großer Krisen kommt manchmal ein Augenblick im menschlichen Denken, wo man mit einer gewissen unbefangenen, fast über dem gewöhnlichen Menschlichen stehenden Würdigung rückwärts und vorwärts auf sein eigenes Leben blickt.

Wenn man dann in der Vergangenheit unendlich viele Momente erblickt, in denen man auf Abwege geraten konnte und nur durch ein oft fast wunderbar zu nennendes Eingreifen und Verhüten Gottes davon abgehalten worden ist, so schwillt das Herz vor Dankbarkeit über diese bereits empfangene Gnade und erhebt sich zu der vollen Zuversicht, dass auch noch der bevorstehende Lebensweg ein segensreicher sein werde. So muss auch das Ende des ganzen Lebens sein.

"Zum letzten Heile führ’ ich bald dich ein,"
Sie sprach’s, die mich zu diesen Höhen brachte,
"Und scharf und klar muß jetzt dein Auge sein.
Darum, bevor du tiefer dringst, betrachte
Was unten liegt, und sieh, wie viele Welt
Ich unter deinem Fuß schon liegen machte,
Damit dein Herz, so viel es kann, erhellt,
Bereit sei, vor den Siegern zu erscheinen,
Die fröhlich sich in diesen Kreis gesellt."

Dante, Paradiso, Zweiundzwanzigster Gesang1

(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)