17. Januar

Der Werdegang, den die einzelne Seele in sich erfährt, wenn sie zu einem wirklichen inneren Leben kommt, ist gewöhnlich der folgende:

Zuerst »wendet euch« — von den unbefriedigenden Weltbestrebungen zu Gott; vom Bösen oder von der Gleichgültigkeit zum Guten. Jes 45 22

Sodann »trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes«, das heißt: vorzugsweise, nicht nebenher oder koordiniert mit anderem Streben. Mt 6 33

Hierauf folgt die Zuversicht, alles wirklich Nötige und Wohltätige stets haben zu können. Joh 15 7, Joh 16 24

Daraus entstehen am Ende zwangsläufig der beständige innere Friede und die Überwindung der Welt, in der nichts als Angst und Sorge ist, selbst in den besten Schicksalen. Joh 16 33

Das Leben ist ein beständiges Überwinden oder Überwundenwerden; einen anderen Weg gibt es nicht, für keinen auf Erden.

Am Jordan
(5 Mos 10, 5 Mos 11)

O Mensch, der recht gesunden will,
Halt ohne Arbeit endlich still
Und sprich: O Herr, nun nimm mich hin,
Obschon ich nicht gebessert bin.

Vertilg die stolze Frömmigkeit,
Des eignen Willens Trieb und Streit,
Und lass die falsche Lust der Welt
Mir werden ganz und gar vergällt.

Durch eigne Kraft werd ich nicht rein,
Ich muss zuvor erst selig sein;
Dann schenkest du mir voll Geduld
Für Liebe freundlich alle Schuld.

Ich stell mein’ Sach auf deine Wahl
Und werf das Netz zum andern Mal;
Die Liebe sei mein letztes Ziel,
Nun, Herr, beginn dein Liebesspiel.

(Nach Woltersdorf, GBG 233)

(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)