Auf den Tag St. Augustinus

(Predigt Nr. 126 aus »Johann Tauler’s Predigten«, 2. Aufl., Prag, 1872)

Wie der Mensch in fleißiger Hut und Wacht seines Lebens und aller seiner Übung stehen soll. Wie Gott die, so ihm mit Ernst erwarten, so wunderbar über alle vergänglichen Dinge erhebt und sie danach, ihnen zugut, wieder mit mancherlei Zufällen und Anfechtungen niederschlägt und demütigt, wodurch sie auf den aller sichersten Weg ewiger Seligkeit getrieben und darauf gefördert weiden.

Die Worte sprechen: Ihr sollt wachend sein, denn ihr wisset nicht, wann der Herr kommt von der Hochzeit. Der Feind tut alle seine List und Behendigkeit dazu, ohne Unterlass, dass er uns verleite und ewiglich verderbe, und nimmt fleißig wahr, wo er eine Stunde oder einen Augenblick findet, dass wir nicht Fleiß der Andacht haben, und ein Fenster offen vergessen unserer Sinne [aus Vergessenheit offen lassen], und nicht allezeit auf unserer Hut stehen. Allzuhand schleicht er ein und stiehlt uns all unser Gut; darum hütet euere Fenster, und wachet, dass er euch das Haus nicht untergrabe, wie der Dieb; und darum seid mit allen Kräften und mit gesamtem Gemüte ohne Unterlass wach. Sobald einem Menschen einkommt ein Hochmut, eine Wohlgefälligkeit seiner selbst und eine Vermessenheit und Eigenwilligkeit, zuhand ist der Feind da und schneidet ihm ab den Säckel aller seiner guten Werke. Kinder, was werdet ihr nachmals sehen und finden an denen, die große Übung und Werke gehabt haben und großen Namen und Schein, denen aber ihre Wohlgefälligkeit und Behaglichkeit alles so gar abgeschnitten hat, dass sie mit großem Dank nehmen werden, unter die ungelehrten und ungelebten [im Leben ungeschickten] Menschen, unter die Bauern, gewiesen zu werden. Und etliche arme, einfältige Menschen, von denen niemand nichts hält, [und die] ohne Schein und ohne Werke [waren], die werden um ihrer demütigen Verdrücktheit willen über diesen allen so hoch stehen, dass jene kaum dahin sehen können, wo diese sind. Darum wachet mit wackerem Gemüt und mit offenen Augen, und sehet die bloße Wahrheit mit und ohne Unterschied, in Gedanken, in Worten, in Werken, in Tun, in Lassen, in tugendlichen Werken, in geduldigem Leiden, und nehmet eurer selbst wahr, inwendig und auswendig.

Kinder, ihr wisset nicht, wie ängstlich ihr stehet wegen der natürlichen Schwäche und wegen euerer eigenen greulichen Gebrechen und wegen des großen, alles übertreffenden Gutes, das wir ohne Unterlass von Gott empfangen könnten und das wir also unnütz versäumen, und dass die klaren göttlichen Augen uns so gründlich ansehen und durchsehen bis in unseren Grund, und dass der Mensch so recht unlauter dagegen stehet, der also ungeläutert ist, darum, weil er nicht in der Wahrheit ist. Wie sollten wir uns dessen so gründlich schämen, und wie wird das so strenge geurteilt werden, da geschrieben stehet: dass der gerechte Mensch kaum behalten werden kann! St. Augustinus spricht: Wehe und wehe aller Gerechtigkeit, so Gott nicht nach seiner Barmherzigkeit richten will. Darum wüsstet ihr, in welchen Sorgen [in welcher Gefahr] alle die stehen, denen etwas anderes schmeckt, denn Gott, euer menschlicher Sinn möchte es nicht erleiden. Der heilige Hiob spricht: Herr, wie klein lassest du mich? Ehe ich meinen Speichel schlinge, so sündige ich. O Hüter der Menschen, warum hast du mich gemacht, dir widerwärtig!

Nun spricht das Evangelium: Ihr sollt wachen, und euere Lenden sollen gegürtet sein, und ihr sollt brennende Fackeln haben in euern Händen, und sollt harren des Herrn, wenn er kommt von der Hochzeit. Von diesem Wachen habt ihr gehört. Nun sollet ihr aber hier drei Punkte merken [beachten]: Zuerst, die Lenden sollen gegürtet sein und gebunden, wie man einen mit einem Seile festbindet, dass man ihn ziehen und führen kann wider seinen Willen, wie ein Pferd, das man zäumet und damit aufzieht, wenn es in einen Graben fallen wollte. Diese Lenden sind Lustlichkeit der Sinne; die soll man binden und zähmen und zusammengürten und ihnen ihre Freiheit nimmer lassen. Der andere Punkt: Ihr sollt in euern Händen haben brennende Fackeln, das ist, die minnigliche Wirksamkeit der wahren brennenden Liebe, inwendig und auswendig. Die soll nimmer aus eueren Händen kommen, wo ihr es vermöget, und sonderlich [sollet ihr] untereinander [sie haben] in aller Andacht nach euerem Vermögen. Das dritte: Ihr sollet harren des Herrn, wenn er von der Hochzeit kommt. Selig sind die Knechte, die der Herr wachend findet, so er kommt; er wird sie setzen über alles sein Gut, er wird sich schürzen und ihnen dienen.

Diese Hochzeit, von der der Herr kommt, ist in dem Innersten der Seele, in ihrem Grunde, wo das edle Bild liegt. Welche Nähe da sei der Seele mit Gott, und Gottes mit ihr, welche wunderliche Werke Gott da wirket, und welche Lust und Wonne Gott da hat, das ist über alle Sinne und Verständnis, wiewohl der Mensch [gemeiniglich] davon [gar] nichts weiß noch empfindet; die Menschen aber, mit denen Gott diese Wonne hat und diese Gemahlschaft, das sind die Menschen, die ihr Herz und ihre Gunst auf Gott gekehrt haben, von der Welt und von allen Kreaturen, mit einem ewigen Willen, ihm allein zu leben. Die Menschen dagegen, die an eigenen Dingen ihr Vergnügen nehmen, tot oder lebendig, mit Willen und mit Wissen, mit denen hat er nichts zu tun.

Nun, diese harrenden Menschen siehet der Feind, und so der Herr zu lange bleibt, so kommt er und bringet etwas Lust in sie, es sei inwendig oder auswendig, dass sie damit verbleiben [stehen bleiben]. Liebes Kind, davon halte nichts, sondern bleibe auf deiner Warte. Selig sind die Knechte, die da warten, denn sie wissen nicht, wann der Herr kommen wird, ob es in der ersten oder in der andern oder in der dritten Nachtwache sein werde. Dann wird er ihnen dienen, das ist, er wird ihnen schenken und sie lassen gewahr werden eines Vorgeschmacks der verborgenen Gemahlschaft, und damit wird er sie stärken, dass das Warten nicht zu sauer werde. Er gibt ihnen in dem, was sie empfinden, die Süßigkeit seiner Liebe, dass nämlich ihre Liebe damit gestärket werde.

Nun nimmt St. Gregorius das Wort in dem Psalter und spricht: Ich habe mich fliehend gefernt, und bin geblieben in der Einsamkeit. Wenn der inwendige Mensch also geharret hat und wieder geharret, so soll er sich fernen und fliehen alle Dinge, und bleiben in der Einsamkeit. Diese Einsamkeit ist, dass der Mensch nicht allein lässt die auswendige Mannigfaltigkeit der äußern Kräfte, sondern auch die inwendige Mannigfaltigkeit der inneren Kräfte, die Bilde nämlich der Kräfte, die Fantasien und die Gedanken, dass sich also der Mensch kehret von allen Bilden und Formen und bleibt in der Einsamkeit. Wenn er also das Leiden überkommt und durchleidet, dann kommt der Herr, dessen er geharret hat, in einem Augenblick, und führet ihn der Herr über alle Dinge in dem Augenblick und ergötzet ihn seines langen Harrens. Dann schlägt er ihn [aber] wieder nieder, dass er in seinem Empfinden sich nicht überhebe, und drückt ihn nieder.

Von dem spricht Jeremias: Herr, du hast mich gesetzt in dem Angesicht deiner Hände, und hast mich erfüllet mit Dräuen und mit Schrecken. Was ist das? So der Mensch in diese Ruhe kommt, innerlich, in sich selber, so kommt Gott und erfüllet ihn mit Dräuen und mit Schrecken, als ob er ihn mit beiden Fäusten dräuete. Die eine Faust, mit der er dräuet, ist, dass ihm eine Finsternis begegnet inwendig und ein tiefer elender [einsamer] Weg, und er weiß nichts und hat nichts, und dazu begegnet ihm alles Unglück, Sünde, Anfechtung, Hoffart, Unkeuschheit, Unglaube und manche Versuchung, dessen der Mensch lange wähnet ledig zu sein, und wähnet es überwunden zu haben; das macht ihm nun ein großes Erschrecken, und ihm wird damit gedräuet. Die andere Faust, damit er dräuet, ist, so ihm Gott vorhält sein greuliches Urteil, und in dem [diesem zufolge] kann sich der Mensch nicht anders setzen, denn in den tiefsten Grund der Hölle. Diese zwo Fäuste drücken den Menschen gar wunderlich; mit allem diesem Dräuen meinet aber Gott zu vertreiben den bösen vergifteten Grund der Hoffart. Kinder, die in diese Fäuste recht sehen, in denen erlöschet alle Lust, mehr denn mit allen äußern Übungen, die du in vielen Jahren üben möchtest.

Wenn sich nun der Mensch zumal gekehrt hat in die Einsamkeit mit dem Propheten und bleibet da wohnen, und ist in ihm gestillet alles Gestürme, Gedanken, Bilde und Formen, dann kommt Gott und der heilige Engel, und bringt ihm in einem Augenblick jählings die wirkende Minne, dass dem Menschen inne ist eine Sache, die ihm empfohlen ist, entweder für die heilige Christenheit, oder für die Toten oder Lebendigen; in einem Blick kommt ihm das ein. Dann tut unser Herr, als ob er spräche: Du brauchst mir nichts zu sagen; ich weiß wohl, was du willst und begehrest, — und tut [ihm] seinen Willen. Das heißt Beter im Geiste, wie die wahren Anbeter. Der Feind [aber] kommt auch dazu, und bestehet, ob er des Seinen auch hier finden möge, und stößt an, und wirft hinzu Leiden und Gedanken, und hält die dem Menschen vor. Dessen soll er nicht achten, und lasse die vor sich hinfließen; wenn er es nicht geminnet noch gemeinet hat, so muss der Feind seine Straße gehen mit Schanden und mit lediger Hand, und der Mensch wird größlich mit diesen Anstößen bereitet.

In etlichen Landen findet man Menschen, die einer falschen Ledigkeit pflegen, und sich alles Wirkens abtun, und [auch] inwendig hüten sie sich vor guten Gedanken, und sprechen, sie seien zum Frieden gekommen, und wollen sich nicht üben in Werken der Tugend, sie seien darüber gekommen. Diese habe ein Teufelei bei sich sitzen, das verbietet alles, was sie von innen oder von außen entfrieden mag, in Gedanken und in andern Weisen, dass sie in dem Frieden bleiben; damit er [jener Teufel] sie hernach mit sich führe in einen ewigen Unfrieden, in seine Hölle, darum behütet er ihnen ihren falschen Frieden. Diese falsche Weise haben nicht die Gerechten; diese üben sich von innen und von außen und leiden sich in allen den Wegen, auf denen sie der Herr führet, in den Bekorungen und in den Finsternissen, und nehmen sich nicht an [behaupten es nicht von sich], dass sie gekommen seien zum Frieden. Sie haben [aber doch] nicht Unfrieden, sondern sie gehen einen engen Pfad zwischen Frieden und Unfrieden, Hoffnung und unrechter Furcht, zwischen Sicherheit und Zweifel; wenn ihnen aber einblickt der wahre Friede und Freiheit des Geistes oder Sicherheit, zuhand werfen sie das wieder in den Grund sonder Anhaften. Kinder, die Menschen, die diesen engen Weg zu gehen haben, die sollen vor allen Dingen sehen, dass sie fest und hart stehen in den Fußstapfen unseres Herrn Jesu Christi; je härter sie hierinnen stehen, je lauterer werden sie. Dann hören die dräuenden Fäuste auf und werden so gutliche, minnigliche Hände, und dann umfasset sie [jene Menschen] unser Herr so zärtlich mit seinen väterlichen Armen, und führet sie aufwärts, hoch über alle Dinge. In dem entfallen dem Menschen alle natürlichen Dinge, und verdrießt sie alles, was nicht lauter Gott ist.

Nun lässt sie der Herr sehen die schweren finsteren Wege und die engen Pfade, die sie übergangen haben, dann kann ihnen niemand mehr schaden, und sie werden für all ihr Elend ergötzt. Das ist in der Wahrheit ungerecht den freien Geistern [gar nicht nach ihrem Sinn], die in falscher Freiheit glorieren und mit der falschen Ledigkeit sich eines falschen Friedens vermessen, und auf ihren eigenen Weisen und Aufsätzen vierzig Jahre oder mehr stehen, und große Werke geteiner haben. Diese wollen den engen Weg nicht gehen. In einer großen Versammlung sind vielleicht kaum ein oder zwei Menschen, die diesen Weg gehen wollen; alle aber, die da sind, die werden an diesen Menschen wirken und sie dazu bereiten, und wenn sie im geringsten etwas misstun, so spricht man ihnen so schwer zu [tadelt man sie so hart]. Liebes Kind, das sollst du leiden! Und entfährt dir wohl einmal eine harte Antwort und ein schweres [strenges] Wort, so komm zuhand zu dir selber und erkenne dein Gebrechen, und lasse dir es leid sein. Schweige still und nimm es von Gott, dass du dich daran erkennest; denn hättest du viele Geduld bewiesen und erzeiget, dir möchte ein hoch Gemüt davon gekommen sein. Darum demütige dich und gehe voran. Es soll dich alles bereiten, es sei krumm oder gerad, es kommt dir alles zugut, wollest du nur sein wahrnebmen, und einen wackern Fleiß haben. Wer des Herrn also wartet mit wachenden Augen, wie St. Augustinus tat, dem wird der Herr dienen, und volle Freude mitteilen, wie er ihm getan hat. Dass nun uns allen das geschehe, dessen helfe uns Gott. Amen.

(siehe dazu: Gedanken zum 25. März)