1. Mai

Gott macht für die Seinigen den Ofen der Prüfungen nie zu heiß. Ganz im Gegenteil, er lässt immer noch etwas ab von dem, was beschlossen ist, und auch die Menschen dürfen uns nicht um ein Haar breit mehr schaden, als sie sollen.

Ich kann es selbst bezeugen, dass ich in allen schweren Zeiten meines Lebens immer nachher das bestimmte Gefühl hatte, sie hätten eigentlich noch etwas länger dauern oder härter sein können und sollen. Daher »nur frisch hinein, es wird zu tief nicht sein.«

2 Sam 24 16    1 Chr 16 21–22    2 Sam 16 11–12

Der 1. Mai

Trübe fängt der Maien an;
Lass dich’s, Seele, nicht erbittern;
Reift der Geist nur himmelan,
Mag die schwache Hülle zittern.

Ende gut macht alles gut,
Einmal muss gestorben werden;
Sparst du Müh’, so kostet’s Blut;
Frisch, mein Herz, sag ab der Erden.

Einst, ja einst, zur Abendzeit,
Wirst du Gottes Sonne schauen;
Ist der Weg auch noch so weit,
Zu dem Ende führt Vertrauen.

Mehr doch als zur Hälfte schon
Ist der Pilgerpfad gegangen;
Noch hast du den Tageslohn
Für die Arbeit nicht empfangen.

Höbest du dein Haupt empor,
Könntest du die Krone sehen
Und der lieben Heil’gen Chor,
Die dir schon entgegengehen.

Walle weiter sonder Klag’,
Halte fest, was dir beschieden;
Wandre noch den Nachmittag
Fort, am Abend winkt der Frieden.

(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)