6. Mai

Eine der größten Versuchungen zum Zweifel ist die, dass wir überhaupt das Gute in der Welt und in uns selber weniger leicht sehen als das Böse, das sich viel breiter macht. So kommen Menschen dazu, an ihrem inneren Fortschritt halb zu verzweifeln, obwohl sie sich auf ganz gutem Weg befinden. Oder an der göttlichen Gerechtigkeit, wenn ihnen doch deren majestätischer Gang aus Geschichte und eigener Lebenserfahrung klar vor Augen sein müsste.

Manchmal scheint es uns längere Zeit hindurch, dass wir innerlich gar nicht vorwärtskommen. Dann kommt plötzlich ein Tag, an dem wir sehen, dass wir doch anders geworden sind, als wir zuvor waren.

Hes 11 19    Hes 36 25–27    Jer 24 6–7

Es ist besser, man kritisiert nicht viel. Es gibt Leute genug, die das besorgen, aber nur wenige, die das Gute sehen und stärken und die die Wahrheit so sachte und vollkommen sagen können, wie sie gesagt werden muss, um wirksam zu sein.

Sag nicht, der Kampf wäre aussichtslos,
Wunden und Müh’n wär’n vergebliches Leiden,
nimmer würd weichen der Feind unserm Stoß,
und wie es heut ist, würd’s ewiglich bleiben.

Denn während Wellen am Ufer müd’ spielen,
scheinbar nicht einen Zoll Land machen gut,
kommt aus der Ferne, von Buchten und Prielen,
unmerklich, still die gewaltige Flut.1

(Arthur Hugh Clough)

(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)


  1. Say not, the struggle nought availeth,
    The labour and the wounds are vain.
    The enemy faints not, nor faileth,
    And as things have been, things remain.
     
    For while the tired waves, vainly breaking,
    Seem here no painful inch to gain,
    Far back, through creeks and inlets making,
    Comes silent, flooding in, the main.