16. Dezember

Das Leben besteht großenteils aus kurzen entscheidenden Aktionen, denen dann wieder längere Zeiträume folgen, in denen es ruhiger dahinfließt. In diesen müssen die Erfahrungen gesammelt und die Grundsätze gewonnen und befestigt werden, nach denen dann in der Aktion instinktiv, ohne weitere Überlegung, gehandelt werden kann. Wer dann noch erst zu überlegen nötig hat, was er tun kann oder will, der ist meistens von vornherein verloren. In diesen entscheidenden Augenblicken spielt (wie man es heutzutage auch in militärischen Dingen annimmt) das »psychologische Moment« die größte Rolle. Wer tapfer und mit wohlerworbenen Kräften und Prinzipien dasteht, der kann einen entscheidenden Sieg erringen, der auf längere Zeit hinaus sein weiteres Schicksal bestimmt. Wer dagegen unsicher in die Aktion eintritt, der kapituliert oder weicht aus und muss den ganzen Lebensabschnitt mit seinen Aufgaben neu beginnen, statt vorwärtsschreiten zu können.

Traue keinen Entschlüssen, Grundsätzen oder Glaubensbekenntnissen, bevor sie sich nicht in einer Aktion als fest vorhanden bewährt haben, und bringe dich nicht selbst in die Lage, einer solchen Aktion mit nicht bereits feststehenden Prinzipien begegnen zu müssen. Von beidem stammen die schmerzlichen Niederlagen, die wir oft erleiden und die uns den Mut zum Guten und Großen mehr nehmen als alles andere.

Die sicherste Hilfe ist ein ganz festes Vertrauen auf Gott und ein feines Ohr für dessen Warnungen und Vorbereitungen auf Kommendes, die nie fehlen. Wer auf Gott vertraut, kann fast aller menschlichen Klugheit entbehren, außer eben dieser Aufmerksamkeit. Er wird stets gewarnt, wenn etwas Entscheidendes kommt, vorher ausreichend durch Trost und Verheißung gestärkt und in der Aktion selbst mit mehr Mut ausgestattet, als er allein aus sich heraus aufbringen könnte. Das Buch Hiob und die Leidensgeschichte Christi sind die sprechendsten Beispiele hierzu (Hiob 33 14–30).

(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)