28. Oktober

Für einigermaßen ruhig beobachtende Leute ist der erste Eindruck, den sie von einem Menschen empfangen, der richtige und stets maßgebende. Ein unsicherer, harter oder listiger Blick, eine nervöse oder zurückhaltende Hand, ein sinnlicher Mund, ein charakterloses Kinn, ein Überwiegen der unteren über die obere Gesichtshälfte überhaupt, lassen sich nicht verbergen. Beim weiblichen Geschlecht ist zum Glück der Ausdruck der Unschuld (den viele alte Frauen haben und manche junge Mädchen nicht) gänzlich unnachahmlich und, wo er fehlt, durch nichts zu ersetzen; wer von ihnen betrogen wird, ist immer mitschuldig.

Vor Frauen, die diesen Ausdruck nicht haben, hüte dich unbedingt, und lass sie jedenfalls keinen erheblichen Einfluss auf dein Leben gewinnen. Dagegen ist der Verkehr mit den anderen geistig sehr wohltätig, und Missachtung des weiblichen Geschlechts ist immer ein schlechtes Zeichen.

Die Frauen haben ihrerseits auch ein sehr sicheres Gefühl dafür, welches die tüchtigen Männer sind, wenn sie nicht durch eine falsche Kultur und Erziehung verbildet sind.

(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)