21. November

Die Furcht vor Beleidigung haftet allen Menschen an, die in »anständigen« Verhältnissen aufgewachsen sind. Sie hindert sie in weit höherem Maß, als man es glaubt, an vielem, was sie tun könnten und sollten. Es gibt darunter nicht wenige Leute, die sich vor jedem Zeitungstadel fürchten, obwohl der doch zu den geringeren Unannehmlichkeiten des Lebens zu zählen ist. Es ist eine Gnade Gottes, wenn ein solcher Mensch einmal in seinem Leben in Schmach getaucht wird und unversehrt daraus hervorgeht. Das ist die Meinung von Jes 48 10.

Dann erst fürchtet er sich nicht mehr und ist zu etwas Besserem zu gebrauchen als zu einem bloßen Parteigänger, besonders in einer Republik.

Purgatorio 27 16–21    Paradiso 17 50–69    Dan 3 16–30

Der heute lebende Mensch muss vielem gegenüber, was links und rechts ihn anziehen oder ihm imponieren will, stets einfach sagen: Ich strebe nach dem allem nicht, und nichts davon würde meine Seele ausfüllen können; ich strebe nach der wahren Güte.

(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)