26. März

Mir ist es in meinem Leben unendlich oft wie einem Schlafwandler ergangen, der, wie durch eine unsichtbare Hand geleitet, über die gefährlichsten Pfade hinwegkommt, die er mit offenen Augen für die Gefahr niemals zu betreten wagen würde.

Nur dann und wann habe ich plötzlich die sehr große Verschiedenheit meines Denkens von dem der meisten anderen Menschen gesehen, die man sich eigentlich gar nicht eingestehen darf, wenn man nicht unsicher werden will.

Ich habe daher, wie mir einmal ein etwas boshafter Kritiker ganz richtig sagte, weit mehr mit toten als mit lebendigen Leuten geistig verkehrt und einzelne Menschen, die vor Hunderten von Jahren lebten, besser verstanden, als die jetzt Mitlebenden. Jene, die ich am besten verstand, waren Christus, Johannes, Dante, Thomas a Kempis, Tauler, Cromwell und, um von Neuesten noch zu sprechen, Carlyle, Blumhardt, die Frau Booth, Tolstoi; der Letzte mit starken Ausnahmen.

(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)