6. Juni

Unsere völlig verkehrte religiöse Erziehung lehrt uns ganz und gar nicht Gott lieben, sondern höchstens ihn fürchten, mit dem heimlichen Nebengedanken, es wäre eigentlich besser, uns davon loslösen zu können; denn »Furcht ist Pein«. Das Glück, einen Gott zu haben, lernen wir leider meist erst spät im Leben kennen. Und die Klagen, die schon im Alten Testament darüber (in zum Teil rührender Art) ausgedrückt sind, dass er dann erst annehmen muss, was vorher alle möglichen anderen, oft sehr unsauberen Götter besessen haben, sind noch heute vollkommen lebenswahr.

Jer 30    Hos 2

Das Evangelium ist ganz Geist und Leben, besonders was die Worte betrifft, die uns von Christus erhalten sind, und so muss es gepredigt und aufgefasst werden. Geistlose Predigt und bloß formale Kirchenzugehörigkeit verhärtet die Herzen für die Wahrheit mehr als jedes andere Mittel; dadurch sind die Massen vom Christentum abgewendet worden.

Joh 6 63–68

(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)