30. April

Den schönsten Ausdruck der Weisheit des Altertums enthält eine Stelle in dem bekannten Tagebuch des Kaisers Marc Aurel, das bei seinem unerwarteten Tode in den Falten seiner Toga aufgefunden wurde: »Sei den Menschen immerfort auf irgendeine Weise dienstbar, und lass diese beständige Großzügigkeit dein einziges Vergnügen sein, jedoch ohne den von Zeit zu Zeit schuldigen Blick auf die Gottheit zu vergessen.«

Es wird kaum jemals ein Mann an höchster Stelle vom bloß philosophischen Standpunkt aus etwas Besseres gesagt und getan haben. Friedrich der Große wäre der Einzige, der damit verglichen werden könnte.

Wie arm ist aber das Leben mit einer solchen »Gottheit«, oder mit gar keiner.

(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)