5. Oktober

Wenn ein Mensch seinen Willen Gott ganz geschenkt hat – die einzige Gabe, die er ihm geben kann und auf die Gott Wert legt (alles andere sind ja seine Geschenke) – dann übergibt Gott, so vermessen das klingt, diesem Menschen auch seinen Willen, indem er ihm fortan alle seine Bitten (die er aber auch selbst lenkt) erfüllt. Nun braucht der Mensch nur noch zu bitten und zu nehmen, und Gott selbst fordert ihn dazu auf mit den Worten in Ps 81: »Tue deinen Mund weit auf; ich will ihn füllen.«

Denn Gott ist, soweit wir überhaupt etwas von ihm wissen, ein unendlich liebevolles Wesen, dessen Verlangen dahin geht, dem Menschen viel, ja alles zu sein, und ihm schon hier auf Erden so viel schenken zu können, wie es überhaupt möglich ist, ohne seiner schwachen Natur zu schaden. Denn die kann – leider! – nur wenig Glück auf einmal vertragen.

(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)