16. März

Der Glaube ist an sich schon ein Glück. Die volle Zuversicht, etwas zu bekommen, ist wie die Blüte, die man am Baum sieht: Sie entspricht dem idealen Bedürfen des menschlichen Herzens eigentlich mehr als die Frucht, die man später in der Hand hält, um sie zu verzehren.

Das ist auch die Schönheit des Erdenlebens im Vergleich zu jedem künftig denkbaren Leben. Später wird dieses Glück fehlen; man muss es einst auch gehabt haben, um nicht nachher ein Bedauern zu empfinden, das nicht in einen Himmel passt.

Was man von der Minute ausgeschlagen, gibt keine Ewigkeit zurück.1

Der schönste Moment in jedem Glücksgefühl ist nicht der des Besitzes, sondern der Augenblick vorher, wenn die Erfüllung herankommt und bereits sicher erscheint. Am besten spricht dies Iphigenie in dem herrlichen Monolog aus: »So steigst du denn, Erfüllung, schönste Tochter des größten Vaters, endlich zu mir nieder.«2

(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)


  1. Schlusszeile aus Schillers Gedicht »Resignation« 

  2. Goethe: Iphigenie auf Tauris, 3. Aufzug, 1. Auftritt