27. August

Zum wirklichen Glauben gelangt man erst, wenn man durch Erfahrungen sieht, dass Gott und seine Herrschaft etwas Tatsächliches und jeder wirkliche Fortschritt im eigenen inneren Leben ebenfalls ein Geschehen ist, nicht eine erlangte Kenntnis oder sogar nur eine Vorstellung.

Freilich gibt es Menschen, die meinen, das noch nie erfahren zu haben, und denen kann man es nicht übel nehmen, wenn sie – bloß auf die Versicherung eines Menschen oder eines Buches hin – nicht glauben wollen, sondern die Realitäten dieser Welt, die sie mit Augen sehen und mit Händen greifen können, für etwas viel Gewisseres halten. Die Frage ist nur, ob es wahr ist, dass sie nie andere Erfahrungen gemacht haben. In dieser Hinsicht erscheint mir das Wort in Hiob 33 29–30 tröstlicher und richtiger als die sogenannte Prädestinationslehre1, die allerdings nach einer bloß äußerlichen Beobachtung vieles für sich hat.

(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)


  1. Die Prädestination ist ein theologisches Konzept, dem zufolge Gott von Anfang an das Schicksal des Universums und aller Menschen vorherbestimmt hat. Vgl. Wikipedia-Artikel